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In den 60er- und 70er-Jahren war die Schauspielerin Jacqueline Bisset ein Star schlechthin: Sie drehte nicht nur mit Polanski und Truffaut, sondern schaffte auch den Sprung nach Hollywood. Ein Porträt anlässlich des 66. Filmfestivals Locarno, an dem sie mit einem Ehrenpreis ausgezeichnet wird.
Autor: Michel Bodmer
04.08.2013, 07:57
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Das Interview
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2001 stand Jacqueline Bisset am Sundance Film Festival Rede und Antwort zu ihrem dort präsentierten Film «The Sleepy Time Gal». In einem entspannten Gespräch erzählte sie von ihrer Karriere, die noch keineswegs zu Ende ist.
Das heutige Mainstream-Publikum kennt Schauspielerin Jacqueline Bisset hauptsächlich als T-Shirt-tragende Taucherin aus «The Deep» (1977) und als Objekt pubertärer Begierde aus «Class» (1983). Vor diesen kommerziellen Erfolgen allerdings hatte sie sich im europäischen Kino ebenso einen Namen gemacht wie als Partnerin von Steve McQueen in «Bullitt» (1968) und Jean Paul Belmondo in «Le magnifique» (1973).
Inzwischen ist die Schönheit zur Charakterdarstellerin gereift. Neben anspruchslosen TV-Movies oder Serien wie «nip/tuck» und «Rizzoli & Isles» dreht sie immer wieder auch ambitionierte Independent-Produktionen. Besonders augenfällig wurde dies, als sie 2001 am Sundance Film Festival auftrat, um den dritten Film des kalifornischen Cineasten Christopher Münch zu promoten. Im Interview erwies sie sich als kluge und besonnene Künstlerin, die sich nach wie vor weiterentwickeln will und ihre Karriere aus selbstkritischer Distanz beobachtet.
Der Reiz des Independent-Films
In Münchs autobiographisch gefärbtem Drama «The Sleepy Time Gal», das leider nie den Weg in die europäischen Kinos fand (aber immerhin auf DVD greifbar ist), verkörpert Bisset die alternde Frances, die in den 1950er-Jahren als lebensfrohe und freigeistige Radiomoderatorin zu nachtschlafender Stunde Musik auflegte. Gebrochene Herzen pflasterten ihren Weg, nicht nur diejenigen wechselnder Partner, sondern auch die ihrer Kinder, denen sie keine gute Mutter war. Nun ist Frances an Krebs erkrankt und hält Rückschau. Als einziges Kind ist ihr Sohn Morgan (Nick Stahl) bei ihr und muss für seine Fürsorge einiges einstecken. Frances weiss nicht, dass ihre Tochter Rebecca, die sie einst zur Adoption freigegeben hat, dabei ist, nach ihr zu suchen.
SRF am Filmfestival Locarno
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Im Radio:
SRF 2 Kultur und SRF 4 News sind während des Filmfestivals gemeinsam vor Ort: «Live aus Locarno» mit aktuellen Filmen und prominenten Gästen – vom 3. bis 11. August, Mo-Fr, um 11 Uhr live auf SRF 4 News und 12 Uhr auf SRF 2 Kultur.
Im TV:
«Filmfestival Locarno 2017 - Das Spezial» am 9. August um 22.25 Uhr auf SRF 1.
Zu Münch kam Bisset aufgrund seines Regiedebüts: «The Hours and Times» (1991) ist eine kurze Studie über ein Wochenende, das der junge John Lennon mit seinem schwulen Manager Brian Epstein in Barcelona verbrachte. Bisset war beeindruckt von der Stimmigkeit, mit welcher der nachgeborene Filmemacher die Stimmung von damals einfing: «Ich war in den Sixties durchaus dabei, in London, sah, was vor sich ging, und kannte viele der Menschen, die die Mode und alles andere veränderten. Ich fand den Film sehr modern, ich mag Schwarzweiss-Filme und mir gefielen die Dialoge und wie er das gedreht hatte. Ich war sofort gefesselt und dachte: Mit dem Mann möchte ich zusammenarbeiten.»
Herausforderungen statt Hollywood
Die Arbeit an «The Sleepy Time Gal» zog sich über drei Jahre hin, während welcher Bisset andere Filme drehte und sich zwischendurch immer wieder in die schwierige Rolle der streitbaren Frances zurückversetzen musste – faktisch für Gottes Lohn, denn Independent-Filmer zahlen keine nennenswerten Gagen.
Aber Hollywood, Glamour und Geld bedeuten Bisset nicht mehr viel: «Ich glaube nicht, dass ich in letzter Zeit zu wenige Gelegenheiten gehabt hätte, grosse Filme zu drehen», sagte sie im Interview 2001. «Bei manchen Dingen, für die man mich anfragte, hatte ich das Gefühl, das hätte ich schon mal gemacht oder dass ich dazu nichts beitragen könnte; es waren auch austauschbare Rollen dabei. Ich versuche lieber Neues, ich mag Herausforderungen. Es geht mir wohl wie vielen Schauspielern: Wenn mir etwas Angst macht, schau ich‘s mir vermutlich ein zweites Mal an. Denn so wächst man weiter. Ich habe die Tode meiner beiden Eltern überwunden, was mir im Leben viele Jahre lang grosse Angst gemacht hatte, und ich funktioniere absolut noch. Ich hätte nie gedacht, dass ich nach dem Tod meiner Mutter noch funktionieren würde, ich dachte, ich wäre kaputt; mein Vater ist vor 19 Jahren gestorben – aber ich bin nicht kaputt. Sie haben mir meine Erziehung geschenkt und ein gewisses Mass an Mumm, eine gewisse Willenskraft – nun ist es Zeit, das auch zu gebrauchen. Es ist Zeit, furchtlos zu sein, drauflos zu gehen.» Darin ähnelt Bisset ihren britischen Zeitgenossinnen Julie Christie und Charlotte Rampling, die ebenfalls im Independent-Film eine neue Heimat gefunden haben.
Polanski, Truffaut und die Folgen
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Jacqueline Bisset erinnert sich an die Krawatten-Szene
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Ihre allererste Sprechrolle hatte die 22-jährige Bisset in Polanskis absurdem Gangsterfilm «Cul-de-Sac» («Wenn Katelbach kommt», 1966). Noch vor ihrem ersten Satz überhaupt – sie bemerkt, dass der tumbe Ganove Richard eine Krawatte von Christian Dior trägt – sollte sie läppisches Gekicher von sich geben und versagte völlig. Eine erfahrenere Kollegin, Catherine Deneuves Schwester Françoise Dorléac, versuchte ihr aus der Patsche zu helfen, was sich am Ende als verlorene Liebesmüh erwies.
Jacqueline Bisset in Locarno
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Das Filmfestival Locarno verleiht Jacqueline Bisset am Sonntag, 11. August den Lifetime Achievement Award auf der Piazza Grande. Zu Ehren Bissets zeigt das Festival «Rich and Famous» (1981) von George Cukor und «Under the Volcano» (1984) von John Huston. Die Schauspielerin nimmt zudem an einem öffentlichen Gespräch teil.
Wenig Erfüllung fand Bisset in einer ihrer ersten und berühmtesten Rollen, als Julie in François Truffauts «La nuit américaine» (1973): «Der Part war ganz nett, aber François sagte immerzu: Ich wünschte, ich hätte dir eine bessere Rolle gegeben. Er wusste, dass ich lieber etwas gemacht hätte mit einer Dreiecks- oder Paarbeziehung, etwas, das dieser Figur mehr Tiefe verliehen hätte. Aber es war doch eine grossartige Zeit für mich und der Film hat mir viel gebracht.»
Künstlerisch gibt sie mehr auf andere Rollen wie die schwierige Frances in «The Sleepy Time Gal», ihre «Anna Karenina» (1985) an der Seite von Christopher Reeve, die Juden rettende Aristokratin Nina von Halder in «Forbidden» (1984) von Anthony Page und die Konsulsgattin in «Under the Volcano» (1984). Letzteres war ihre zweite Zusammenarbeit mit John Huston, von dem sie viel gelernt haben will.
Lektionen bei Altmeistern: Huston und Cukor
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Jacqueline Bisset über ihre Ängste vor der Kamera
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Als gereifte Schauspielerin ist Bisset viel eher bereit, sich der Vision des Regisseurs auszuliefern. Früher machte sie sich auch öfter Sorgen, ob die Kamera am richtigen Ort stehe. Aber Huston und Cukor hätten sie gelehrt, dass Grossaufnahmen nicht immer die ausdrucksstärkste Lösung seien.
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George Cukors Problem mit Jacqueline Bisset
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Sonst habe sie mit Cukor nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Bei «Rich and Famous» (1981), der im Rahmen der Retrospektive in Locarno aufgeführt wird, war Bisset nicht nur als Hauptdarstellerin, sondern auch als Koproduzentin involviert, was für jene Zeit unüblich war. Dem greisen Cukor war dieses doppelte und leidenschaftliche Engagement nicht genehm.
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